Am 07.10.2015 hatten wir, im Rahmen eines Schulprojekts der Jahrgangsstufe 2 in Erdkunde, die Möglichkeit, Flüchtlinge, die erst seit Kurzem in Deutschland sind, zu interviewen. Aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation hatte sich Frau Hofstätter, zusammen mit uns, dem zweistündigen Erkunde-Kurs aus der J2, überlegt, Flüchtlinge aus der Region zu uns an die Schule einzuladen. Der Gedanke dahinter war, unser theoretisches Wissen mit Leben zu füllen und mehr über die Situation der einzelnen Flüchtlinge aus erster Hand zu erfahren.
Herr Nedela und Herr Behrendt vom Asyl-Helferkreis Markdorf und Herr Hümmerich vom Meersburger Flüchtlingskreis begleiteten die Flüchtlinge, die sich für ein Gespräch mit uns zur Verfügung gestellt hatten, zu uns in den Kurs. Wir hatten Gäste aus Syrien, Albanien und Afghanistan. Auch Vertreter der SMV und interessierte KollegInnen waren anwesend.
Es war beeindruckend wie viele dazu bereit waren, uns ihren langen und hürdenreichen Weg nach Deutschland zu beschreiben. Trotz der oft erschwerten Verständigung aufgrund sprachlicher Differenzen, gelang es ihnen sehr gut ihre Geschichte zu vermitteln, die dadurch keineswegs an Wichtigkeit und Eindruck verlor.
Aufgrund des leider begrenzten Zeitfensters mussten wir uns in zwei Gruppen aufteilen. Ein Teil des Kurses hatte die Chance, das Schicksal einer sehr jungen Familie aus Syrien, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, zu erfahren. Das Paar war gerade einmal 23 Jahre alt. Sie hatten zwei junge Kinder, ein Mädchen im Kindergartenalter und ein Junge von etwa einem Jahr, der hier in Deutschland zur Welt kam. Sie mussten ihr Land schnell verlassen und brauchten vier Monate um nach Deutschland zu gelangen. Nun sind sie bereits ein Jahr und neun Monate hier. Der junge Vater arbeitete in einem Restaurant, bis ihm dies nicht mehr möglich war, da er den A2 Abschluss in Deutsch absolvieren möchte.
In dieser Zwickmühle befinden sich nahezu alle Flüchtlinge. Sie dürfen bis einschließlich ihres dritten Monats des Aufenthalts nicht arbeiten und danach auch nur, wenn sie sich eine gewisse Sprachkenntnis angeeignet haben. Dies ist für sie jedoch schwer zu erreichen, da die Kurse nicht gezahlt werden. Gerade für den jungen Vater ist es nun wichtig viel Kontakt zu der neuen Sprache zu bekommen, da er so die besten Chancen hat sie zu erlernen. Förderlich dafür ist, dass er sein Hobby, das Fußballspielen, in Friedrichshafen weiter ausüben kann und so auch Kontakt zu anderen in seinem Alter hat.
Schön ist, dass die kleine Familie dabei ist, in Deutschland ein neues Zuhause zu finden, ihre kleine Tochter hat z.B. einen Platz im nahegelegenen Kindergarten bekommen. Ein guter Start in ein neues Leben. Nun bleibt nur noch zu hoffen, dass der 23-jährige Syrer seinen gelernten Beruf als Maler wieder ausüben darf.
Ein weiterer Gast in unserer Runde war ein Mann um die Mitte 40, ebenfalls aus Syrien. In seiner Heimat war er ein angesehener Zahnarzt und hatte eine eigene Familie. Er war zufrieden mit seinem Leben und es hätte keinen Grund gegeben diesem zu entfliehen. Doch eines Tages änderte sich alles. Dschihadisten zogen in seinen Heimatort ein und zwangen alle, die nicht nach ihren Vorstellungen lebten, zu fliehen. Somit waren der Zahnarzt und seine Familie gezwungen innerhalb weniger Stunden ihr gesamtes, gewohntes Leben hinter sich zu lassen, da ihnen sonst die Enthauptung drohte. Zunächst verbrachten sie einige Zeit innerhalb von Syrien, immer wieder von dort vertrieben wo sie sich niederließen.
Mit großen Anstrengungen gelang es dem Familienvater letztlich, Visa für sich und seine engste Familie zu bekommen und so reisten sie legal nach Deutschland ein. Um allerdings seinen Beruf als Zahnarzt wieder ausüben zu können, stehen auch ihm einige Hürden im Weg. Hinzu kommt noch, dass er eine besondere Prüfung in der medizinischen Fachsprache absolvieren muss. Dieser Mann sehnt sich nach nichts mehr als einem geregelten Tagesablauf und einem Ende der Ungewissheit. Es ist allerdings offensichtlich, dass dieser unheimlich ehrgeizige und unermüdliche Zahnarzt gute Chancen hat seine Ziele zu erreichen.
Den Auftakt in der anderen Gruppe machte ein junger Mann aus Afghanistan, der uns von seiner bewegenden Flucht berichtete. Er ist zusammen mit seinem Bruder aufgrund politischer Verfolgung in Afghanistan geflohen. Sie wurden von den Taliban bedroht, unter anderem auch da eine Verwandte für ausländische Streitkräfte gearbeitet hatte. Ihre Flucht führte sie, wie viele andere, in kleinen Booten über das Mittelmeer und dann zu Fuß weiter nach Deutschland. Ein Aufenthalt im Gefängnis und mehrere Tage ohne Essen und Trinken waren nur ein kleiner Teil der Hindernisse, die sie zusammen überwinden konnten. Dieser Mann ist sehr dankbar und glücklich in Deutschland leben zu dürfen. Hier ist sein Leben nicht akut gefährdet und er hofft, sich eine Existenz aufzubauen. Dennoch vermisst er seine Heimat sehr.
Ein weiterer Gast unserer Runde kam ebenfalls aus Syrien und ist erst vor kurzem hier in Deutschland angekommen. Er erzählte uns von der für uns unvorstellbaren gefährlichen Situation in seinem vom Krieg zerstörten Heimatland und die dadurch einhergehenden Gründe zu seiner Flucht. Er gab für ihn in seiner Heimat nichts Lebenswertes mehr. Sein Heimatort wurden durch den Krieg zerstört und nach einigen Jahren des Herumziehens in Syrien, Leben in Obdachlosigkeit und in ständiger Lebensgefahr durch den Krieg, wie Bombenangriffe oder Zwangseinzug in die Armee, beschlossen er und sein Bruder, ihre Frauen und Kinder zurückzulassen, um überhaupt eine Zukunft in Sicht zu haben. Er begab sich wie die Afghanen auf die gefährliche Flucht über das Mittelmeer und erlebte ebenfalls Gefängnis und Gewalt. Beide Flüchtlinge haben den Großteil des Weges nach Europa nachts und zu Fuß zurückgelegt. Er ist sehr dankbar hier in Deutschland zu sein, allerdings vermisst auch er seine Heimat sehr. Außerdem möchte er sehr gerne arbeiten. Eine Ablenkung von der ständigen großen Angst um das Leben seiner Familie in Syrien würde ihm den Alltag sehr erleichtern. Seine große Hoffnung ist, seine Frau und sein kleines Kind, welche er über ein Jahr nicht gesehen hat, nach Deutschland nachzuholen.
Ein sehr ähnliches Schicksal hatte ein junger Konditor, der ebenfalls aus Syrien kam. Ihm gelang die Flucht zusammen mit seiner Familie und er musste seine eigene große Konditorei in Syrien zurücklassen. Mittlerweile hat er jedoch hier einen Job als Konditor bei einer lokalen Bäckerei gefunden und ist mit seiner Tätigkeit sehr zufrieden. Er arbeitet gerne und hat schnell die Rezepte für unser deutsches Brot gelernt.
Der letzte Gast unserer Runde war eine 16-jährige Albanerin. Sie und ihre Familie mussten sehr viel Geld aufbringen um einen Mann zu bezahlen der sie nach Deutschland gefahren hat. Sie mussten einige Station in Deutschland durchmachen um letztendlich hier am Bodensee anzugelangen. Sie besucht mittlerweile eine Schule, spricht hervorragend Deutsch und weitere Sprachen und ist überglücklich in Deutschland zu leben. Allerdings ist es nicht gewiss, ob sie hierbleiben darf.
Was bei allen Geschichten besonders deutlich wurde, ist, dass die Menschen sich eine schnelle Entscheidung über ihren Status wünschen und gerne möglichst schnell Deutsch lernen und arbeiten möchten. Sie sind sehr glücklich in Deutschland zu sein und haben alle viel Unterstützung und Hilfe erfahren, wofür sie sehr dankbar sind. Sie haben ihre Geschichten gerne mit uns geteilt und waren dankbar, dass wir ihnen zugehört und sie als Menschen wahrgenommen haben.
Für uns Schüler war dieser Abend eine sehr intensive, bereichernde und nachhaltige Erfahrung. Wir können uns nicht wirklich vorstellen, was Flüchtlinge alles durchmachen müssen, obwohl wir täglich von ihren Geschichten in den Medien erfahren. Durch die Begegnung mit Menschen, die dies tatsächlich erlebt haben, wurde uns ihre Situation näher gebracht und wir wurden für ihre Probleme sensibilisiert. Sie sind Menschen wie Du und ich und niemand hat sich die Entscheidung zur Flucht leicht gemacht. Beeindruckend war, dass sich die Flüchtlinge trotz ihrer Erlebnisse auf der Flucht und ihrer schwierigen Situation in Deutschland auch für uns interessiert haben.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei unseren Gästen für ihre Zeit und Offenheit und dem Helferkreis Markdorf und Meersburg für ihre Unterstützung!
Franziska Brauchle, Judith Wolkenhauer, Emil Sailer, Louis Daub, Lena Hofstätter